Oliver van den Berg
“Mikros”

August 26 –October 14, 2006

Wooden Media
Jetzt sprechen! Endlich mal was sagen, und die ganze Welt hört zu. Es gibt sehr wenige Kunstwerke, die derart unmittelbar den Betrachter in eine imaginäre Handlungssituation versetzen, wie Oliver van den Bergs neueste Arbeit „Mikros“ in der Galerie Kuckei + Kuckei. Mit insgesamt 113 handgefertigten Mikrofonen aus Holz auf 40 Stativen und vier Tischen inszeniert van den Berg ein hypertrophiertes Medienereignis, das dem Alptraum von Nationalmannschaftstrainern und Bundeskanzlerinnen entsprungen zu sein scheint. Gegenüber dem durchaus bedrohlich wirkenden Gestänge, das an eine Phalanx von Speeren denken lässt, kann man auf unterschiedliche Weise Haltung einnehmen. Im Zentrum der Komposition erliegt man für kurze Zeit der Megalomanie totaler öffentlicher Wahrnehmung, schreitet man jedoch um das Werk herum, so wird man zum Komplizen dieser hölzernen Nachrichtenmaschinerie, die als Paraphrase der Medienwirtschaft mit ihrem nicht zu stillenden Hunger nach Informationen zu lesen ist. Das Banalste erhält in diesem Kontext Bedeutung, wird wichtig durch seine weltweite Übermittlung.
Würde man sich solchen Denkfiguren öffnen, wenn es sich um echte Mikrofone handeln würde? Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, das künstlerische Verfahren des 1967 in Essen geborenen Bildhauers, der 1994 sein Kunststudium an der HdK als Meisterschüler von Wolfgang Petrick abschloss, genauer zu betrachten. „Modelle eines bereits existierenden Gegenstandes [dienen] der Aneignung des Originals,“ notierte Oliver van den Berg in seinem 1999 erschienen Künstlerbuch „Vn Zwischenbericht. Taschenbuch über einen Lenkflugkörper“. Dies kann sich ganz konkret auf Technik- oder Produktpiraterie beziehen, meint aber auch eine symbolische Aneignung wie sie der Hobby-Modellbauer bei der maßstabsgetreuen Imitation von Flugzeugen, Schiffen oder anderen Vehikeln vollzieht. Ein anderer Modelltyp ist in der Entwicklung eines technischen Geräts oder beim Fahrzeugbau relevant. Über Skizzen, kleinere Modellen bis hin zum Prototypen konkretisieren sich die Entwürfe der Ingenieure und Designer, bevor das Produkt im Maßstab eins-zu-eins gebaut werden kann oder in serielle Herstellung geht. Oliver van den Bergs künstlerische Aneignung der Dinge evoziert beide Modelltypen, doch münden sie in einem „eigenständigen Objekt nach Vorlage eines existierenden Gegenstandes“, wie der Bildhauer seine jüngeren Skulpturen beschreibt. Er behandelt damit die Ambiguität, die im Verhältnis von Urbild, Original und Abbild angelegt ist. „Blind Passenger“ aus dem Jahr 2004 und der 2005 auf der Ausstellung „Rückkehr ins All“ in der Hamburger Kunsthalle gezeigte „Sternenprojektor“, sind in diesem Sinne unmittelbar vergleichbar zu „Mikros“. Bei „Blind Passenger“ handelt es sich um die perfekte Kopie eines Flugschreibers, sowohl hinsichtlich der Lackierung als auch seiner Oberflächenbeschaffenheit, die erst beim Wissen um ihre hölzerne Identität die Funktion als Informationsspeicher unterläuft und zu einer hermetischen Blackbox wird. Der vier Meter hohe „Sternenprojektor“ ist das dreidimensionale Abbild eines Geräts, das in Planetarien dazu dient, den Kosmos aus der Erdperspektive darzustellen. Der Gegenstand ist als Nachbau aus naturbelassenem Birkenschichtholz vollständig aus seinen utilitaristischen Zusammenhängen befreit. Er wird als eindrucksvoller Körper im Raum wahrgenommen, dessen skulpturale Qualitäten sofort ins Auge fallen. Statt als Bildprojektor zu dienen ist er nun selber Abbild und Gegenstand einer Betrachtung, die bis in den normalerweise mit Technik zugestopftem Innenraum der Apparatur führt.
Oliver van den Bergs Installation „Mikros“ ist weitaus stärker abstrahiert als „Blind Passenger“ oder der „Sternenprojektor“. Bewusst verzichtet er bei dieser Arbeit auf eine farbige Fassung oder die Ausbildung einer Textur. Er reduziert die Geräte auf ihre bloße Gestalt, auf ihre prototypische Urform. Sie präsentieren sich so in einer Unverborgenheit, die viel stärker auf das Ideelle, ja Ungegenständliche, zielt, als der im Modellbau-Verfahren angelegte Realismus vermuten lässt. Sie sind weniger Abbild der realen Gegenstände, sondern eine Annäherung an das imaginäre Bild, das sie als Teil der Wirklichkeit in unserem Bewusstsein einnehmen. Dadurch vollzieht sich auch ihre diskursive Qualität. Erst im Abbild wird uns die abgründige Verstrickung mit derartigen Dingen gegenwärtig, die wir mit Fiktionen und Erzählungen umkleiden, um ihnen Herr zu werden. In ihrer nackten Präsenz bleiben sie hingegen letztlich ein Rätsel.
Marc Wellmann, September 2006
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Wooden Media
Speak now! Finally say something, and the whole world listens. There are very few works of art that place the viewer as directly in an imaginary situation of action as does Oliver van den Berg’s newest work “Mikros” in the gallery Kuckei + Kuckei. With a total of 113 handmade wooden microphones on 40 stands and 4 tables, van den Berg stages a hypertrophied media event that seems as if it were born in the nightmare of national soccer team coaches and federal chancellors. One can adopt various stances toward the definitely threatening-seeming arrangement of rods, which is reminiscent of a phalanx of spears. At the center of the composition, one briefly succumbs to the megalomania of total public perception, but if one walks around the work, one becomes the accomplice of this wooden news machinery, which is to be read as a paraphrasing of the media industry with its insatiable hunger for information. The most banal thing takes on significance in this context, becoming important through its worldwide conveyance.
Would one open oneself up to such modes of thought if these were real microphones? To answer this question, it is necessary to take a closer look at the artistic method of this sculptor, who was born in Essen in 1967 and completed his studies in art as a Master Student under Wolfgang Petrick at Berlin’s College of Arts. “Models of an already existing object serve to appropriate the original,” Oliver van den Berg noted in his artist book “Vn Interim Report. Paperback on a Guided Missile”, which appeared in 1999. This can refer quite concretely to technology and product piracy, but it also means a symbolic appropriation, like that carried out by the hobby model-builder who imitates airplanes, ships, or other vehicles to scale. Another type of model is relevant in the development of a technical device or when building vehicles. The designs of the engineers and designers grow increasingly concrete via sketches, small models, and then prototypes, before the product can be built at full scale or put into serial production. Oliver van den Berg’s artistic appropriation of things evokes both types of models, but they lead to an “autonomous object after the model of an existing object”, as the sculptor describes his more recent sculptures. He thereby addresses the ambiguity inherent in the relationship between initial idea, original, and reproduction. In this sense, “Blind Passenger” from the year 2004 and the “Star Projector” shown in 2005 in the exhibition “Return to Space” in Hamburg’s Kunsthalle are directly comparable to “Mikros”. “Blind Passenger” is the perfect copy of a flight recorder, in regard to both the lacquering and the surface characteristics, which do not undermine its function as information storage until one recognizes its wooden identity, making it a hermetic black box. The 4-meter-high “Star Projector” is the three-dimensional reproduction of the apparatus used in planetariums to depict the universe from the perspective of earth. The object, as a copy made of untreated, laminated birch wood, is completely liberated from its utilitarian contexts. It is perceived as an impressive body in space, whose sculptural qualities are immediately obvious. Instead of serving as an image projector, it is now itself a depiction and object of contemplation, leading into the interior of the apparatus, which is normally crammed with technology.
Oliver van den Berg’s installation “Mikros” exhibits a much higher degree of abstraction than “Blind Passenger” or “Star Projector”. In this work, he consciously does without any colored mountings or the elaboration of texture. He reduces the apparatus to their mere shape, to their prototypical, basic form. They thus present themselves in a nakedness that aims much more intensely at the ideal, indeed at the nonfigurative, than the realism based in model-building would suggest. They are less a depiction of the real objects than an approach to the imaginary image that the objects assume in our consciousness as part of reality. This is also how they carry out their discursive quality. Only the depiction presents to us the abyss of our entanglement with such things, which we clothe with fictions and narratives in order to control them. In their naked presence, by contrast, they ultimately remain a riddle.
Marc Wellmann, September 2006