Oliver van den Berg

Zur Utopie endlosen Fortschritts gehört die Idee einer nahezu übermenschlich perfekten Hochtechnologie: ein Mythos, den Oliver van den Berg mit oft komplexen Mitteln und hintersinnigen Infragestellungen demontiert. In der Nachempfindung und Neuerfindung von futuristisch-technoid anmutenden Objekten begibt sich der Berliner Künstler auf die Spur der Tücken und Eigenheiten, die den vom Menschen gemachten Produkten grundsätzlich innewohnen. Dabei geht es auch um eine weiterreichende Untersuchung der systemimmanenten (Kontroll-)Mechanismen, die dem technischen Vehikel – der Raum- und Luftfahrt ebenso wie der Kriegsführung – eingeschrieben sind. Das künstlerische Interesse richtet sich hier gleichermaßen auf das individuelle ›Gesicht‹ wie auf die kollektive Relevanz der Technik, auch in ihrer Funktion als Erinnerungsspeicher. Skizze, Prototyp, Modell, Versuchsaufbau sind van den Bergs zentrale skulptural-konzeptuelle Methoden. Wiederholt hat sich der Künstler mit Flugkörpern, Satelliten- oder Radarkonstruktionen befasst, wobei das Spektrum von individuell gestalteten, rudimentären Raketen über den Entwurf für ein Einatom-U-Boot (1996) und den Radarschirm ICO (1999) zur Ermittlung der Kulminationslinie »größter Vergangenheit und Zukunft« bis hin zu künstlerischen Rekonstruktionen der V1-(»Vergeltungswaffe 1«-)Rakete der Nationalsozialisten nach Erinnerungsskizzen von Londoner Bürgern reicht.
In letzterem Projekt mit dem Titel Vn (1999), aus dem unter anderem auch ICO hervorging, produzierte der Künstler auf der Grundlage besagter Skizzen präzise »Windkanalmodelle« aus Holz, die eine breite Palette völlig divergierender und absurder formaler Variationen umfassten. Die Relativität der Erinnerung, aber auch die des technischen Instruments und somit der Ergebnisse und Erkenntnisse, die damit zu erzielen seien, spielen darin eine entscheidende Rolle.
Erweitert wird dieser Gedanke in der Arbeit des Künstlers für die aktuelle Schau Rückkehr ins All, einem vier Meter ›Luftraum‹ einnehmenden Sternenprojektor, konstruiert nach der gleichnamigen Apparatur, die in Großplanetarien für die Projektion eines naturgetreuen, steuerbaren Sternenhimmels dient. Mit seiner Skulptur, die als Hohlkörper aus Holz gestaltet ist, kehrt van den Berg die ursprüngliche Funktionsweise des Projektors um: Statt von innen nach außen fällt das Licht (und der Blick) in das Gerät hinein. Die Skulptur repräsentiert die Kapazität des Projektors, als Speichermedium zu fungieren, das das Wissen über den Sternenhimmel birgt und abbilden kann.
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Part of the utopia of endless progress is the idea of an almost superhumanly perfect high technology: a myth that Oliver van den Berg dismantles with often complex means and sly questions. In the imitation and new invention of futuristic-technoid objects, the Berlin artist follows the traces of the perfidies and idiosyncrasies that are always inherent in products made by people. He is also involved in a more extensive investigation of the system-immanent (control) mechanisms inscribed into technical vehicles – in space and air travel as well as in war waging. His artistic interest here focuses equally on the individual “face” and on the collective relevance of technology, including in its function as a storage medium for memory. Sketch, prototype, model, and experimental set-up are van den Berg’s central sculptural-conceptual methods. The artist has repeatedly taken interest in airplanes, satellites, and radar constructions; his spectrum ranges from individually designed, rudimentary rockets through the design for a one-atom submarine (1996) and the radar screen ICO (1999) to artistic reconstructions of the National Socialists’ V1 (“Retaliation 1”) rocket in accordance with sketches from memory prepared by citizens of London.
On the basis of these sketches in the latter project, titled Vn (1999), out of which the ICO and other projects developed, the artist produced precise, wooden “wind tunnel models” comprising a broad palette of completely divergent and absurd formal variations. The relativity of memory, but also of the technical instrument, and thus of results and knowledge that can be achieved with it, play a decisive role in this.
This idea is expanded in the artist’s work for the current exhibition “Return to Space”, a star projection taking up four meters of “airspace”, constructed on the model of the apparatus of the same name that serves to project an accurate, controllable image of the night sky in large planetariums. With his sculpture, constructed as a hollow wooden object, van den Berg returns to the projector’s original functional method: instead of radiating light from the inside outward, light and one’s gaze fall into the apparatus. The sculpture represents the projector’s capacity to function as a storage medium holding and able to depict our knowledge of the night sky.

Belinda Grace Gardner
From the exhibition catalog “Rückkehr ins All” (Return to Space)
Hamburger Kunsthalle, 2006